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Nach Russlands Einmarsch in die Ukraine sind die ersten Kreml-Truppen in die Hauptstadt Kiew eingedrungen. Im nördlichen Kiewer Bezirk Obolonsky waren am Freitag Explosionen und Schüsse zu hören. Russlands Staatschef Wladimir Putin forderte die ukrainische Armee auf, die Macht in Kiew zu übernehmen und Präsident Wolodymyr Selenskyj zu stürzen. Die EU will nun auch direkte Sanktionen gegen Putin und seinen Außenminister Sergej Lawrow verhängen.
Reporter der Nachrichtenagentur AFP sahen in Obolonsky die Leiche eines Mannes in ziviler Kleidung. Ein weiterer Mann, dessen Auto von einem gepanzerten Fahrzeug zerquetscht wurde, wurde in dem Bezirk von Rettungskräften versorgt. Anwohner berichteten, sie hätten in Obolonsky die Leichen zweier mutmaßlicher russischer Soldaten gesehen.
Bereits am frühen Morgen hatte die russische Armee Kiew erneut aus der Luft angegriffen. Das Zentrum der ukrainischen Hauptstadt mutete an wie eine Geisterstadt. Den ganzen Tag über war Sirenenalarm zu hören, das Regierungsviertel war von gepanzerten Fahrzeugen und Soldaten mit Maschinengewehren umstellt.
Das ukrainische Verteidigungsministerium sprach von einer Sabotageaktion eines russischen Aufklärungstrupps in Obolonsky und rief die Bürger in dem Stadtteil zu den Waffen. Präsident Selenskyj wandte sich auch an Europäer mit Kampferfahrung und bat sie, sein Land bei der Abwehr des russischen Großangriffs zu unterstützen. Der russischen Arme warf er Angriffe auf zivile Ziele vor.
Auch andere ukrainische Städte und Dörfer standen erneut unter Beschuss, darunter der Ort Starognatiwka nahe der früheren Frontlinie zwischen den pro-russischen Separatisten und der ukrainischen Armee in der Ostukraine. "Sie versuchen, das Dorf vom Angesicht der Erde zu tilgen", sagte Wolodymyr Weselkin, ein Verwaltungsbeamter aus Starognatiwka. Bei einem russischen Angriff in der südukrainischen Region Saporischschja wurden nach Angaben des Grenzschutzes mehrere Menschen getötet oder verletzt.
Russlands Staatschef Putin forderte die ukrainische Armee auf, die Regierung in Kiew zu stürzen und selbst die Macht zu übernehmen. "Nehmt die Macht in Eure Hände. Mir scheint, Verhandlungen zwischen Euch und uns wären einfacher", sagte Putin in einer im russischen Fernsehen übertragenen Rede.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow erklärte unterdessen, Moskau sei zu Verhandlungen mit der Ukraine bereit - sofern die Regierung in Kiew sich ergebe. Lawrow bekräftigte, dass es das Ziel der russischen Invasion sei, die Ukrainer zu "befreien" - ein deutlicher Verweis auf die Absicht Moskaus, die Regierung von Selenskyj zu stürzen. Putin hatte bei der Ankündigung des Einmarsches erklärt, die Ukraine "demilitarisieren und entnazifizieren" zu wollen. Das Land werde von "Neonazis" regiert.
Der jüdische Staatschef Selenskyj sagte am Freitag, das Vorgehen Russlands erinnere an den Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion und die darauffolgende Besetzung der Ukraine. Der Präsident bezeichnete den Widerstand der ukrainischen Bevölkerung gegen den russischen Angriff als "heldenhaft" und kündigte an, er werde trotz der Bedrohung für ihn persönlich in der ukrainischen Hauptstadt bleiben. "Nach unseren Informationen hat der Feind mich als Ziel Nummer eins ausgemacht. Und meine Familie als das Ziel Nummer zwei."
Russland hatte am Donnerstagmorgen mit einem Großangriff auf die Ukraine begonnen. In mehreren Städten schlugen Raketen oder Artilleriegranaten ein. Russische Bodentruppen waren anschließend binnen weniger Stunden bis in den Großraum Kiew vorgedrungen. Am ersten Tag der Kämpfe waren nach Angaben Kiews 137 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt worden. Rund 100.000 Menschen sind nach UN-Angaben in dem Land auf der Flucht.
Die Nato hielt am Freitag eine Krisensitzung ab. Auch der UN-Sicherheitsrat wollte sich mit einer Resolution zur Ukraine befassen.
Die EU einigte sich unterdessen auf ein neues Sanktionspaket gegen Russland. Wie Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, enthält das Paket auch "harte" Sanktionen gegen Putin und Lawrow persönlich. Beide seien dafür verantwortlich, "dass unschuldige Menschen in der Ukraine sterben" und "dass das internationale System mit Füßen getreten wird", sagte Baerbock. Aus EU-Kreisen hieß es, die 27 Mitgliedstaaten hätten sich darauf geeinigt, das Vermögen Putins und Lawrows einzufrieren.
Die EU hatte bereits am Donnerstag ein zweites Sanktionspaket gegen Moskau beschlossen. Der Kreml kündigte Vergeltung für die Strafmaßnahmen an. Am Freitag suspendierte der Europarat die Mitgliedschaft Russlands. Auch einzelne Staaten ergriffen weitere Sanktionsmaßnahmen gegen Moskau: So sperrten etwa Tschechien und Polen ihren jeweiligen Luftraum für russische Maschinen.
C.Dean--TFWP